Das Gebot der Rache by Niven John

Das Gebot der Rache by Niven John

Autor:Niven, John [Niven, John]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
Tags: Thriller
Herausgeber: Random House DE
veröffentlicht: 2013-01-21T00:00:00+00:00


20

Ich saß auf einem orangefarbenen Plastikstuhl in einer Art Vorzimmer des Obduktionsraumes im Keller des Regina General Hospital.

Vom Hubschrauberlandeplatz hatten wir den Lastenaufzug genommen und waren dann weiter durch eine Reihe allmählich abwärts führender Korridore gegangen. Krankenhäuser, mit ihrem Beschilderungsdschungel – Pädiatrie, Onkologie, Radiologie – und ihrer ewigen Betriebsamkeit. Als wir in dem vorsintflutlichen, ratternden Aufzug nach unten fuhren, fiel mir ein, dass ich vor fast neun Jahren zum letzten Mal hier gewesen war. Bei Walts Geburt. »Hofbital«, hatte Walt früher gesagt. So wie Patronen für ihn immer »Bafronen« waren.

Der Pathologe, ein gewisser Dr. Manuel, saß neben mir, Danko auf der anderen Seite. Beide warteten geduldig, dass ich die Frage beantwortete, die Dr. Manuel mir gerade gestellt hatte. Er hatte schütteres Haar, trug eine Brille und sah müde aus. Nicht in dem Sinne, dass er dringend eine Mütze Schlaf benötigte, sondern als könnte er all das, was wir aneinander anzutun vermochten, nicht mehr ertragen. Ich wälzte die schreckliche Frage in Gedanken ewig hin und her, während ich auf eine Ansammlung von silbernen, nierenförmigen Schüsseln starrte, die auf einem Tisch neben Danko standen. Wie viele menschliche Organe hatten wohl schon in diesen Schüsseln gelegen? Würden Sams Organe auch dort landen? Schließlich antwortete ich mit leiser Stimme.

»Sie hat ein … ein kleines Blutschwämmchen, knapp über der Scham.«

Dr. Manuel nickte, starrte schweigend zu Boden und fragte dann: »Sonst noch irgendetwas?«

Ich überlegte einen Augenblick, bevor ich ihn ansah. »Reicht das nicht aus?«, fragte ich ihn.

Traurig erwiderte er meinen Blick. Die Ungeheuerlichkeit dessen, was er damit sagte, traf mich mit aller Wucht, und eine weitere Welle des Entsetzens brach über mich herein.

»O Gott«, sagte ich. »O mein Gott.«

»Mr. Miller«, sagte er sanft, »ich werde Sie nicht darum bitten, sich von den sterblichen Überresten mehr als unbedingt nötig anzusehen. Natürlich liegt die Entscheidung allein bei Ihnen. Aber ich glaube wirklich, dass es sehr viel besser wäre, wenn Sie sich an Ihre Frau so erinnern, wie Sie sie zuletzt gesehen haben.«

Ja, so wie du mit Walt über Herby gesprochen hast.

»Ich … da …« Ich stocherte in meinem Gedächtnis herum, versuchte, mich an Sammys Körper zu erinnern, beschämt, nicht jeden Zentimeter davon abrufen zu können. Erneut wurde mir übel, und ich schlug die Hände vors Gesicht. »Da ist ein braunes Muttermal auf der Innenseite des rechten Unterarms. Es sieht aus wie eine winzige Landkarte von Italien.«

Dr. Manuel nickte und erhob sich. »Wenn Sie dann bereit sind.«

Die Leichenhalle war ein großer, kalter Raum, in dem es – wie es wohl sein muss – bitter nach Chemie roch. Dr. Manuel ging voraus, Danko hinter mir. Es war, als würden sie mich bewachen, als könnte ich die Nerven verlieren und davonrennen. Für einen kurzen Moment schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Mach, dass du fortkommst. Fahr zum Flughafen, steig in ein Flugzeug und verschwinde.

Doch als Vater war das keine Option. Ich dachte an meinen Sohn, der hoffentlich daheim in seinem Bett lag, und das ließ mich etwas ruhiger werden. Zumindest für Walt musst du stark sein. Da war jemand, der im Vergleich zu mir noch viel mehr Gefahr lief, im Wirbel des Schmerzes unterzugehen.



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